KI im Grundschulunterricht: Ein praktischer Leitfaden für den Einstieg

KI im Grundschulunterricht: Ein praktischer Leitfaden für den Einstieg

Von am 31.01.25
Inhalt

Künstliche Intelligenz (KI) wird an deutschen Grundschulen noch mit großer Zurückhaltung betrachtet. Die Fragen sind verständlich: Ist die Grundschule nicht zu früh für solche Technologie? Werden unsere Kinder überfordert? Die aktuelle Handlungsempfehlung der Kultusministerkonferenz "Lehren und Lernen in der digitalen Welt" (KMK, 2023) https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2024/2024_10_10-Handlungsempfehlung-KI.pdf  hat eine neue Dynamik in diese Diskussion gebracht. Doch die Realität zeigt: Wir können und sollten die Integration von KI nicht aufschieben.

Warum KI schon in der Grundschule?

Unsere Schülerinnen und Schüler wachsen in einer Welt auf, in der künstliche Intelligenz bereits allgegenwärtig ist – von Sprachassistenten zu Hause bis zu personalisierten Lernprogrammen.

Dabei gilt ein wichtiges Prinzip: Wir brauchen zunächst das grundlegende Lernen ohne KI als Basis, müssen aber gleichzeitig KI als Lernpartner einführen.

Denn kritisches Denken – eine der wichtigsten Kompetenzen unserer Zeit – entwickelt sich nicht erst in der weiterführenden Schule, sondern bereits in der Grundschule.

Ein praktisches Beispiel: Textsorten mit KI erkunden

In meiner vierten Klasse habe ich einen strukturierten Ansatz erprobt, der zeigt, wie die Integration von KI gelingen kann. Am Beispiel einer Unterrichtseinheit zu Textsorten möchte ich demonstrieren, wie dieser Prozess Schritt für Schritt aussehen kann. Dabei orientiere ich mich an den fünf Dimensionen des Lernens mit KI nach Joscha Falck (2023, "KI im Klassenzimmer: Ein didaktisches Modell für die Integration künstlicher Intelligenz").

Dimension 1: Lernen über KI – Grundverständnis schaffen (2 Unterrichtsstunden)

Bevor wir KI im Unterricht einsetzen, müssen die Kinder verstehen, womit sie es zu tun haben. In meiner vierten Klasse haben wir zunächst gemeinsam einen von der KI geschriebenen Text analysiert. Die Schülerinnen und Schüler entdeckten dabei sowohl gelungene Aspekte als auch Fehler. In der anschließenden Diskussion gingen wir der Frage nach, woher die KI ihr Wissen bezieht. Dies führte zu einer lebhaften Sammlung von Fragen darüber, was KI gut kann und wo ihre Grenzen liegen. Dabei vermittle ich den Kindern in einfachen Worten: KI ist wie ein sehr kluger Computer, der aus vielen Beispielen gelernt hat. Sie kann zwar Texte schreiben, macht aber auch Fehler und ist letztlich ein Werkzeug, das uns hilft, aber nicht ersetzt.

Dimension 2: Lernen ohne KI – Das Fundament bauen (150 Minuten)

In dieser wichtigen Phase entwickeln die Kinder zunächst ein solides Grundverständnis der Textsorten. Wir beginnen mit der klassischen Einführung verschiedener Textarten durch gemeinsames Lesen und Besprechen der Merkmale im Unterrichtsgespräch. Die Schülerinnen und Schüler erstellen dann analoge Lernplakate zu selbst gewählten Textsorten. Zur Vertiefung schauen sie sich zunächst ein einführendes Video an und suchen dann eigenständig nach weiteren Videos zu ihrer spezifischen Textsorte. Dabei analysieren sie kritisch die Titel und Beschreibungen der gefundenen Videos, um geeignetes Lernmaterial auszuwählen. Diese Aufgabe schärft nicht nur ihre Lesestrategien, sondern trainiert auch ihre Fähigkeit zur Informationsbeschaffung und eigenverantwortlichen Entscheidungsfindung.

Dimension 3: Lernen durch KI – Individuelles Feedback nutzen (90 Minuten)

In dieser Phase wird KI zum aktiven Lernhelfer. Die Schülerinnen und Schüler lassen ihre selbst geschriebenen Texte von der KI überprüfen und erhalten individuelles Feedback. Sie lernen dabei, konstruktiv mit Verbesserungsvorschlägen umzugehen. Die Kinder stellen der KI gezielte Fragen wie "Ist dies ein typischer Bericht? Was fehlt noch?" oder "Kannst du mir zeigen, wo in meinem Text die wichtigsten Merkmale eines Berichts zu finden sind?". Die KI hilft ihnen, konkrete Textstellen zu identifizieren, die bestimmte Merkmale widerspiegeln. Diese Beispiele dienen als Grundlage für die spätere Reflexion im Austausch mit den Mitschülern.

Dimension 4: KI als aktiver Lernpartner (90 Minuten)

In dieser Phase arbeiten die Schülerinnen und Schüler direkt mit der KI. Sie lassen sich von der KI Texte zu ihrer gewählten Textsorte generieren und überprüfen diese systematisch auf die Merkmale, die auf ihren Lernplakaten festgehalten sind. Die KI unterstützt sie bei der präzisen Analyse der Texte und hilft, konkrete Textstellen zu identifizieren, die bestimmte Merkmale der Textsorte widerspiegeln. Die Kinder vergleichen verschiedene KI-generierte Versionen und diskutieren die Unterschiede. Diese Beispiele werden in der abschließenden Reflexionsphase genutzt, um die Ergebnisse im Austausch mit dem Plakat-Ersteller zu diskutieren.

Dimension 5: Lernen trotz KI – Kritisches Denken entwickeln (90 Minuten)

Den Abschluss der Einheit bildet eine gemeinsame Reflexionsphase. Die Schülerinnen und Schüler vergleichen KI-Texte mit selbst geschriebenen Texten und diskutieren, was einen Text "lebendig" macht. Sie analysieren, ob die KI die Textsortenmerkmale korrekt umgesetzt hat, und erkennen typische KI-Fehler. In dieser Phase wird deutlich, dass menschliches Urteilsvermögen auch im Zeitalter der Digitalisierung unersetzlich bleibt. Die Kinder reflektieren darüber, wo die KI hilfreich war und wo sie selbst bessere Ergebnisse erzielt haben.

Praktische Tipps für den Einstieg

Für Lehrkräfte, die neu in der KI-Welt sind:

Fangen Sie klein an:

  • Testen Sie zunächst selbst einfache KI-Anwendungen
  • Probieren Sie die Übungen vorher aus
  • Beginnen Sie mit kurzen, überschaubaren Einheiten

Schaffen Sie Sicherheit:

  • Nutzen Sie nur geprüfte, sichere KI-Tools
  • Besprechen Sie Regeln für die Nutzung
  • Bleiben Sie im Dialog mit den Eltern

Lernen Sie gemeinsam:

  • Seien Sie offen für Fragen und Entdeckungen der Kinder
  • Teilen Sie Ihre Erfahrungen im Kollegium
  • Dokumentieren Sie Erfolge und Herausforderungen

Resonanz und Erfahrungen

Die Reaktionen auf diese Unterrichtseinheit waren durchweg positiv. Die Kinder zeigten eine hohe Motivation und Begeisterung im Umgang mit der KI. Besonders fasziniert waren sie von der Möglichkeit, direkt mit der KI zu interagieren und Feedback zu erhalten. Die anfängliche Skepsis einiger Eltern wich schnell einer konstruktiven Neugier, als sie die konkreten Lernergebnisse ihrer Kinder sahen. Im Kollegium entwickelte sich ein reger Austausch über weitere Einsatzmöglichkeiten, und mehrere Kolleginnen und Kollegen haben inzwischen ähnliche Projekte in ihren Klassen gestartet.

Fazit: KI als Chance für zeitgemäßes Lernen

Diese Unterrichtseinheit zeigt exemplarisch, wie die Integration von KI in der Grundschule gelingen kann. Der Schlüssel liegt in der ausgewogenen Verbindung von analogem und digitalem Lernen. Das hier vorgestellte Modell der fünf Dimensionen nach Joscha Falck https://joschafalck.de/lernen-und-ki/ lässt sich dabei hervorragend auf andere Fächer und Themen übertragen – sei es im Mathematikunterricht bei der Analyse von Textaufgaben, im Sachunterricht bei der Recherche zu Umweltthemen oder im Kunstunterricht bei der Bildbetrachtung. Die klare Strukturierung in verschiedene Phasen ermöglicht es, KI schrittweise und altersgerecht einzuführen.

Denken Sie daran: Der Einstieg in die Arbeit mit KI muss nicht perfekt sein. Wichtig ist, dass wir uns auf den Weg machen und unsere Schülerinnen und Schüler auf eine Zukunft vorbereiten, in der KI ein selbstverständlicher Teil des Lernens und Arbeitens sein wird. Dabei können und sollen wir voneinander lernen – im Kollegium, mit den Kindern und durch den Austausch von Erfahrungen in der Schulgemeinschaft.

KI im Fachunterricht: Konkrete Anwendungsbeispiele

Mathematik: Textaufgaben verstehen und lösen

Dimension 1: Lernen über KI (1-2 Stunden)

  • Gemeinsame Analyse einer von KI generierten Textaufgabe
  • Entdecken, wie KI mathematische Zusammenhänge darstellt
  • Diskussion: Kann KI uns beim Verstehen von Textaufgaben helfen?

Dimension 2: Lernen ohne KI (3-4 Stunden)

  • Klassische Einführung in die Struktur von Textaufgaben
  • Übungen zum Markieren wichtiger Informationen
  • Erstellen eigener Textaufgaben zu einem Thema (z.B. Multiplikation)

Dimension 3: Lernen durch KI (2-3 Stunden)

  • KI analysiert die Lösungsschritte der Kinder
  • Kinder lassen sich Zwischenschritte erklären
  • KI gibt Tipps zur übersichtlichen Darstellung der Rechenwege

Dimension 4: KI als Lernpartner (2 Stunden)

  • Kinder formulieren eigene Textaufgaben und lassen sie von der KI prüfen
  • KI generiert ähnliche Aufgaben mit anderen Zahlen
  • Gemeinsame Analyse: Was macht eine gute Textaufgabe aus?

Dimension 5: Lernen trotz KI (1-2 Stunden)

  • Vergleich von KI-generierten und selbst erstellten Aufgaben
  • Erkennen, wann die eigene Kreativität wichtig ist
  • Reflexion: Wann hilft uns KI beim Mathematiklernen?

Sachunterricht: Thema "Unser Sonnensystem"

Dimension 1: Lernen über KI (1 Stunde)

  • KI erstellt eine erste Beschreibung des Sonnensystems
  • Kinder entdecken: Was weiß die KI über die Planeten?
  • Gespräch über die Verlässlichkeit von KI-Informationen

Dimension 2: Lernen ohne KI (4 Stunden)

  • Traditionelle Recherche in Kinderbüchern und Sachfilmen
  • Erstellen von Planetensteckbriefen
  • Hands-on Experimente zur Planetenbewegung

Dimension 3: Lernen durch KI (2 Stunden)

  • KI beantwortet gezielte Fragen der Kinder zu den Planeten
  • Vergleich der KI-Antworten mit den Buchquellen
  • KI hilft beim Formulieren von Merksätzen

Dimension 4: KI als Lernpartner (2-3 Stunden)

  • KI generiert Quizfragen zum Sonnensystem
  • Kinder entwickeln mit KI-Hilfe ein Planetenspiel
  • Gemeinsame Erstellung einer "Weltraum-Zeitung"

Dimension 5: Lernen trotz KI (1-2 Stunden)

  • Kritische Prüfung der KI-generierten Inhalte
  • Diskussion: Warum brauchen wir echte Astronomen?
  • Reflexion über die Grenzen von KI-Wissen

Kunst: Künstlerische Techniken und Stilrichtungen

Dimension 1: Lernen über KI (1 Stunde)

  • Betrachtung von KI-generierter Kunst
  • Gespräch: Kann KI kreativ sein?
  • Vergleich mit Werken bekannter Künstler

Dimension 2: Lernen ohne KI (3-4 Stunden)

  • Praktisches Erlernen verschiedener Maltechniken
  • Experimentieren mit Farben und Formen
  • Erstellen eigener Kunstwerke

Dimension 3: Lernen durch KI (2 Stunden)

  • KI analysiert Kunstwerke der Kinder
  • Erhalt von Tipps zu Farbkombinationen
  • Vorschläge für Variationen der eigenen Werke

Dimension 4: KI als Lernpartner (2 Stunden)

  • KI generiert Inspirationen für neue Kunstwerke
  • Gemeinsame Entwicklung von Bildideen
  • Kombination von KI-Vorschlägen mit eigenen Ideen

Dimension 5: Lernen trotz KI (2 Stunden)

  • Diskussion über den Wert handgemachter Kunst
  • Erkennen der Bedeutung persönlicher Kreativität
  • Reflexion: Wie kann KI uns inspirieren?

Besondere Merkmale der Beispiele

  • Zeitliche Flexibilität:
  • Methodische Vielfalt:
  • Wechsel zwischen Individual- und Gruppenarbeit
  • Kombination digitaler und analoger Methoden
  • Integration praktischer Aktivitäten
  • Differenzierungsmöglichkeiten:
  • Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade möglich
  • Individuelle Lerntempi berücksichtigt
  • Verschiedene Zugangsweisen zum Thema
  • Bewertungsmöglichkeiten:
  • Prozessbegleitende Beobachtung
  • Erstellung von Portfolios
  • Präsentation von Lernergebnissen

Diese Beispiele zeigen, wie vielseitig das Modell der fünf Dimensionen in verschiedenen Fächern eingesetzt werden kann. Dabei bleibt die Grundstruktur erhalten, während die konkreten Inhalte und Methoden an das jeweilige Fach und Thema angepasst werden.

Material: Textsorten erforschen mit KI - Unsere Forschungsreise 🚀

Liebe Textforscherinnen und Textforscher,

in den nächsten zwei Wochen werden wir gemeinsam zu echten Textsorten-Experten! Dabei hilft uns auch künstliche Intelligenz (KI). Hier ist euer Forschungsplan:

Phase 1: KI kennenlernen

Unsere erste Begegnung mit KI

  • Wir schauen uns gemeinsam einen von der KI geschriebenen Text an
  • Was kann die KI gut? Was kann sie nicht so gut?
  • Wir sammeln eure Fragen an der Tafel
  • Gemeinsam finden wir heraus, wie KI uns beim Lernen helfen kann

Phase 2: Textsorten selbst erforschen

Das braucht ihr:

  • Großes Plakat (DIN A2)
  • Stifte und Marker
  • Schere und Kleber
  • Beispieltexte

So geht ihr vor:

  • Wählt eine Textsorte aus (Märchen, Bericht, Beschreibung...)
  • Lest die Beispieltexte genau
  • Markiert wichtige Merkmale
  • Sammelt gute Beispiele
  • Gestaltet euer Plakat übersichtlich

Phase 3: KI als Helfer nutzen

KI gibt Feedback

  • Zeigt der KI euer Plakat (als Foto oder Text)
  • Fragt sie zum Beispiel:
  • Verbessert euer Plakat mit den Tipps der KI

Phase 4: Gemeinsam mit KI arbeiten

KI als Partner

  • Lasst euch von der KI einen Text in eurer Textsorte schreiben
  • Prüft den Text mit eurem Plakat:
  • Verbessert den KI-Text gemeinsam

Phase 5: Experten werden

Das große Finale

  • Vergleicht eure selbst geschriebenen Texte mit den KI-Texten
  • Was macht einen Text besonders gut?
  • Wann hilft uns die KI? Wann nicht?
  • Erstellt eine "Profi-Checkliste" für eure Textsorte

So arbeitet ihr:

  • Ihr arbeitet zu zweit
  • Nutzt das Plakat als "Forschungstagebuch"
  • Macht Fotos von eurer Arbeit
  • Fragt bei Problemen nach

Das ist wichtig:

  • Schreibt ordentlich und übersichtlich
  • Arbeitet sorgfältig
  • Überprüft die Rechtschreibung
  • Speichert alle Texte und Notizen

Bonus-Aufgaben für schnelle Forscher:

  • Entwickelt ein Quiz zu eurer Textsorte
  • Lasst die KI auch ein Quiz erstellen
  • Vergleicht die Quizfragen

Präsentation:

Am Ende stellt ihr vor:

  • Euer Lernplakat
  • Einen selbst geschriebenen Text
  • Einen KI-Text
  • Was ihr über KI gelernt habt

Ich wünsche euch viel Erfolg bei eurer Forschungsreise! 🌟

Quellen

KMK: Handlungsempfehlung für die Bildungsverwaltung zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in schulischen Bildungsprozessen. (https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2024/2024_10_10-Handlungsempfehlung-KI.pdf)

Falck, Joscha: Lernen und Künstliche Intelligenz.(https://joschafalck.de/lernen-und-ki/)

Über die Autorin

Kristin van der Meer ist Grundschullehrerin an der Neuen Grundschule Potsdam und setzt sich intensiv mit innovativen Lernansätzen auseinander, die selbstreguliertes Lernen fördern und die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) im Unterricht vorantreiben. Nach einem Studium der Politikwissenschaft und verschiedenen beruflichen Stationen, darunter als wissenschaftliche Assistentin eines Europaabgeordneten und als Arbeitsvermittlerin, hat sie sich im Quereinstieg auf das Lehramt fokussiert.

Sie leitet die Fachkonferenz Gesellschaftswissenschaft und Sachunterricht und engagiert sich aktiv in der Unterrichtsentwicklung. Besonders motiviert sie, ihre Schüler: innen als Kolleg:innen zu betrachten und ihnen dabei zu helfen, die Kompetenzen zu entwickeln, die sie für die Zukunft benötigen. Ihr Ziel ist es, innovative und zukunftsorientierte Lernmethoden zu fördern, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch die Fähigkeit, dieses Wissen anzuwenden.