Agentic Learning Workflows: Aufbruch in neue Bildungswelten?

Agentic Learning Workflows: Aufbruch in neue Bildungswelten?

Von am 17.01.25
Inhalt

Vom Heute zum Morgen

KI-Agentensysteme stellen die nächste Evolutionsstufe großer KI-Sprachmodelle (LLM) dar und werden als eines der wichtigsten strategischen Technologie-Trends für das Jahr 2025 bewertet (Gartner 2025). Die täglich wachsende Anzahl der angebotenen Plattformen, Frameworks und Tools für die Gestaltung und Nutzung dieser Technologie spiegelt diesen Trend sehr deutlich wider (AI Agents Directory 2025). Bei KI-Agentensystemen handelt es sich im Gegensatz zu KI-Chatbots wie ChatGPT um KI-Systeme mit einem hohen Autonomiegrad, die die Fähigkeiten von großen KI-Sprachmodellen (LLMs) nutzen, menschliches Verhalten zu simulieren, um selbständig Aufgaben zu erledigen. Menschen geben die Ziele vor, aber ein KI-Agent wählt selbstbestimmt die besten Aktionen aus, die notwendig sind, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Der Fokus der KI-Agentensysteme ist daher auf das Treffen von Entscheidungen und deren Ausführung gerichtet. Ein Beispiel für einen sehr einfachen KI-Agenten hat das Unternehmen Anthropic mit dem „Computer use model“ (Anthropic 2024) für seinen KI-Chatbot Claude im Oktober 2024 vorgestellt, bei dem nach Eingabe der Aufgabenstellung durch den User der nachfolgende Abarbeitungsprozess auf dem Rechner autonom durch das KI-System erfolgt, wie z. B. die Suche im Internet, das Öffnen von Anwendungen und sogar die Eingabe von Text über die Tastatur und die Maus. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Perspektiven von KI-Agentensystemen für den Bildungsbereich. Die Definitions- und Abgrenzungsproblematik von KI-Agentensystemen erschwert die Auseinandersetzung, da es häufig fließende Übergänge von Conversational Bots wie z. B. ChatGPT hin zu autonom(er)en KI-Systemen sind, die unter dem Begriff „AI Agent System“ subsumiert werden. So haben bereits frühere Studien den Einsatz von „KI-Agenten“ im Bildungsbereich untersucht, die nach dem damaligen Begriffsverständnis vorrangig die Zielsetzungen aus dem Bereich „Learning Analytics“ im Fokus hatten: Verhalten der Lernenden analysieren, geeignete Kurse vorschlagen und die Lehrmethoden sowie die Leistungsanalyse verbessern (Kumar 2021). In diesem Beitrag soll der Blick weiter in die Zukunft gerichtet werden. Es werden die auf den KI-Agentensystemen basierenden Agentic Learning Workflows betrachtet. Sie können als ein agentengestützter Arbeitsablauf eines Systems interpretiert werden, das KI-Agenten einsetzt, um Entscheidungen zu treffen und zielorientierte Aktionen in verschiedenen Phasen eines komplexen (Bildungs-)Prozesses auszuführen. Sie könn(t)en als neue Bildungstechnologie dienen und ein potenzialstarkes neues Instrumentarium bieten, um zukunftsorientierte Lehr- und Lernszenarien zu fördern.

Aufbau und Komponenten eines KI-Agentensystems

Der Aufbau von KI-Agentensystemen basiert auf einer modularen Architektur, die es ihnen ermöglicht, spezielle Rollen anzunehmen, Aktionen vorauszuplanen und mit der Umgebung zu interagieren (Parker 2024). Die folgende Abbildung 1 von Omer Mahmood (Mahmood 2024) beschreibt in schematischer Weise die Kernkomponenten für den Aufbau eines KI-Agentensystems, die sich von der Planung, über die Ausführung, die kontinuierliche Optimierung bis zu den Interaktionsmöglichkeiten der Schnittstellen erstreckt.

Abbildung 1: Kernkomponenten und Phasen eines agentengestützten Arbeitsablaufs, der von einem Agenten orchestriert wird
Abbildung 1: Kernkomponenten und Phasen eines agentengestützten Arbeitsablaufs, der von einem Agenten orchestriert wird

Da Agenten-Systeme explizit für die Ausführung sehr detaillierter Aufgaben konzipiert sind, ermöglichen sie eine viel stärkere Spezialisierung von Rollen im Vergleich zu früheren Automatisierungssystemen. Es gibt unterschiedliche Arten von KI-Agentensystemen und sie sind skalierbar, d.h. sie lassen sich auch als Multi-KI-Agentensysteme nutzen und orchestrieren (Amazon Web Services, Inc. 2024). Auf diese Weise können auch mehrere Agentenrollen definiert werden und im Verbund zum Einsatz kommen. Im Bildungsbereich könnten sie wie ein Team von Lehrenden wirken, das über einen KI-Agenten in der Rolle eines Managers gesteuert wird (Purdy 2024).

Die Stärke eines (Multi-)KI-Agentensystems für den Bildungsbereich zeigt sich darin, autonom und menschenähnlich auf Unterstützungsbedarfe der Lernenden zu reagieren. Aber gerade bei der Begleitung und Unterstützung von Menschen auf ihren individuellen Lernpfaden stellt der Einsatz von KI-Agenten eine neuartige und risikoreiche Herausforderung dar. Er erfordert eine präzise Überwachung und Steuerung, um diesen Raum für autonomes Handeln an ein KI-System zu übergeben und verantworten zu können, siehe hierzu die folgende Darstellung eines Anwendungsbeispiels.

Beispiel für einen Agentic Learning Workflow

Ein virtueller KI-Tutor als KI-Lernagent begleitet den Lernenden autonom auf seinem individuellen Lernpfad, ausgerichtet auf die (in der Regel von den Lehrenden) vorgegebenen Bildungsziele. Der KI-Lernagent analysiert das Wissen der Lernenden durch Interaktionen, gibt Feedback, motiviert und schlägt geeignete Übungen vor, passt den Schwierigkeitsgrad an und beantwortet Fragen, hat Zugriff auf kuratierte und qualitätsgeprüfte Content-Plattformen, nutzt diese Materialien in adressatengerechter Form, d. h. multilingual und multimodal. Der KI-Lernagent lernt eigenständig anhand des Verhaltens des Lernenden und optimiert kontinuierlich seine Rolle als virtueller Lernbegleiter.

Erläuterung

Aufgaben: Simuliert eine menschliche Lehrkraft, die dynamisch auf die Bedürfnisse der Lernenden eingeht, stellt bildungsförderliche und qualitätsgeprüfte Inhalte bereit und steuert interaktive Lernprozesse.

Stärken: Hochgradig anpassungsfähig, ermöglicht individuelles, multilinguales und multimodales Lernen, kann multidisziplinäre Themenbereiche abdecken.

Schwächen: Unvorhersehbares Verhalten und Ergebnisse möglich, erfordert eine genaue Überwachung, um Fehlinformationen und Kontrollverluste zu vermeiden.

Die Transformation der Rolle der Lehrkräfte in einer Welt mit Agentic Learning Workflows

Mit der Einführung agentenbasierter Workflows verändert sich die Rolle der Lehrenden grundlegend. Sie entwickeln sich von traditionellen Wissensvermittler:innen hin zu menschlichenLernbegleiter:innen in adaptiven, KI-gestützten Lernökosystemen. Diese Transformation eröffnet neue Perspektiven auf Lehren und Lernen, stellt aber gleichzeitig auch neue Herausforderungen für die Zukunft der Bildung dar, die nachfolgend erläutert werden.

Lehrende als Architekt:innen adaptiver KI-gestützter Lernökosysteme

Lehrende konzipieren im Sinne von Architekt:innen adaptive, KI-gestützte Lernökosysteme, die auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden zugeschnitten sind. In diesen Lernökosystemen entstehen Lernräume, in denen analoge und virtuelle Elemente synergetisch interagieren – unterstützt durch agentenbasierte Lern-Workflows. Wichtige Gestaltungsmerkmale und Rahmenbedingungen für das übergeordnete Co-Teaching von Mensch und Maschine ist die Verantwortungsübernahme der Lehrenden als Human-in-the-Loop-Ansatz.

Lehrende als Kurator:innen, Orchestrator:innen und Beziehungsarbeiter:innen

Die Rolle der Lehrenden erweitert sich durch den neuen Akteur KI in den Bildungsprozessen in mehrere Richtungen:

  • Content-Kurator:innen: Lehrende wählen Lerninhalte aus und stellen diese als qualitätsgeprüften Content bereit.
  • Orchestrator:innen von KI-Systemen: Von einfachen Lernbots bis hin zu komplexen Multi-KI-Agentensystemen orchestrieren Lehrende technologische Tools, die individualisierte, personalisierte und kollaborative Lernprozesse fördern. Für diese Aufgabe müssten die technisch weniger affinen Lehrenden technische Unterstützung erhalten und auch kontinuierliche Schulungsangebote nutzen können. Ferner ist zu erwarten, dass die Anbieter im Bereich der Educational Technologies (EdTechs) für diese technisch anspruchsvolle Aufgabe benutzungsfreundliche Werkzeuge anbieten werden.
  • Beziehungsarbeiter:nnen: Neben der technologischen Integration liegt ein besonderer Fokus auf der Gestaltung sozialer Lernräume und -momente. Lehrende konzipieren soziale Events und Lernformate, die das gemeinsame Lernen und die zwischenmenschlichen Beziehungen stärken.

Fazit und Zukunftsperspektiven

Die Auseinandersetzung mit Agentic Learning Workflows führt zu einem Zukunftsmodell der Bildung, das einen Paradigmenwechsel im Vergleich zur heutigen Bildung beschreibt. Agentic Learning Workflows können prädiktive Technologien, datenbasierte Entscheidungen und Human-in-the-Loop-Ansätze verbinden, um Lernen und Lehren effizienter und effektiver zu gestalten. Das Co-Teaching von Mensch und Maschine führt zu einer Lernwelt für Lernende, in der individuelles, selbstbestimmtes, adaptives und kontinuierliches Lernen in eine neue Ära tritt. Lernende können stärker eingebunden werden und individuellere Unterstützung erhalten, während Lehrkräfte komplexe Rollenaufgaben übernehmen müssten, aber auch durch den Wegfall zeitaufwändiger Prozesse entlastet werden könnten. Abschließend bleibt festzuhalten, dass (Multi-)KI-Agentensysteme eine potenzialstarke Unterstützung im Bildungsbereich bieten könnten, um die immer höheren kognitiven Anforderungen und Kompetenzlevel für ein AI-Leadership (Buck und Weßels) zu erreichen, zu denen uns unser Leben im KI-Zeitalter immer deutlicher zwingt. Die zu überwindenden Herausforderungen auf dem Weg dorthin sind immens und risikoreich. Hierzu gehören potenzielle Widerstände von Lehrenden (und auch Lernenden und anderen Stakeholdern) gegen neue Bildungstechnologien und Lernparadigmen, die Schaffung der infrastrukturellen Voraussetzungen zur Nutzung der KI-Technologien, rechtliche, ethische und soziale Aspekte sowie der kontinuierliche Qualifizierungsbedarf der Lehrenden. Der Gestaltungs- und Handlungsrahmen muss auf den Lernerfolg ausgerichtet sein, bedarf einer ständigen Evaluation und muss die lernendenzentrierte Perspektive widerspiegeln. Wie sich unsere Haltung zu diesem Zukunftsmodell der Bildung entwickeln wird und ob oder auch wie wir diesen Weg zu einer KI-kompetent(er)en Gesellschaft beschreiten werden, wird die Zukunft zeigen.

Disclaimer

Ich bestätige hiermit, dass ich die KI-Tools ChatGPT und DeepL Write kollaborativ im Schreibprozess eingesetzt habe. Ich habe den finalen Text nach bestem Wissen und Gewissen geprüft und fühle mich für das Ergebnis vollumfänglich verantwortlich.

Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis

AI Agents Directory. (2025, 01. Januar). AI Agents Landscape & Ecosystem (January 2025): Complete Interactive Map. https://​aiagentsdirectory.com​/​landscape. Zugegriffen: 1. Januar 2025.

Amazon Web Services, Inc. (2024, 20. Dezember). Was sind KI-Agenten? – Agenten im Bereich der künstlichen Intelligenz erklärt – AWS. https://​aws.amazon.com​/​what-​is/​ai-​agents/​. Zugegriffen: 1. Januar 2025.

Anthropic (Hrsg.). (2024, 22. Oktober). Developing a computer use model. https://​www.anthropic.com​/​news/​developing-​computer-​use. Zugegriffen: 1. Januar 2025.

Buck, I. & Weßels, D. Gut geführt = gut geschrieben? ‘AI Leadership’ als relevante Kompetenz in der Kollaboration mit KI-Tools. geplant für Handbuch Lernen mit digitalen Medien, 3., vollständig aktualisierte und erweiterte Auflage 2025 (Brägger, G. & Rolff, H.-G., Hrsg.): Beltz.

Gartner. (2025, 01. Januar). Die 10 wichtigsten strategischen Technologie-Trends von Gartner für 2025. https://​www.gartner.de​/​de/​artikel/​top-​technologie-​trends-​2025. Zugegriffen: 1. Januar 2025.

Kumar, P. M. (2021). Special issue on Artificial Intelligence in Engineering Education. Computer Applications in Engineering Education 29 (2), 311. doi:10.1002/cae.22398

Mahmood, O. (2024, 24. Dezember). Getting Started With Agentic Workflows - Towards AI. https://​pub.towardsai.net​/​getting-​started-​with-​agentic-​workflows-​9703ac6ded62. Zugegriffen: 1. Januar 2025.

Parker, O. (2024). What Is an AI Agent? A 2024 Guide to Understanding the Future. https://​aiagentsdirectory.com​/​blog/​what-​is-​an-​ai-​agent-​a-​2024-​guide-​to-​understanding-​the-​future. Zugegriffen: 1. Januar 2025.

Purdy, M. (Harvard Business Review, Hrsg.). (2024). What Is Agentic AI, and How Will It Change Work? https://​hbr.org​/​2024/​12/​what-​is-​agentic-​ai-​and-​how-​will-​it-​change-​work. Zugegriffen: 1. Januar 2025.

Über die Autorin

Prof. Dr. Doris Weßels ist Professorin für Wirtschaftsinformatik und Forschungssprecherin „Digitalisierung und KI“ an der Fachhochschule Kiel. Sie ist Mitgründerin des KI-Kompetenzzentrums: „Künstliche Intelligenz und wissenschaftliches Arbeiten - Schreiben lehren und lernen mit KI“ (https://www.vkkiwa.de/). Für das KI-Anwendungszentrum Schleswig-Holstein hat sie das  Zukunftslabor „Generative KI“ (https://kuenstliche-intelligenz.sh/de/zukunftslabor-generative-ki) aufgebaut und betreut mit ihrem Team vielfältige Projekte aus der Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung. Ihre Expertise bringt sie in diversen nationalen und internationalen KI-Experten- und Beiratsgremien ein.

Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Doris_We%C3%9Fels